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Sieben Kohärenzsünden der Entwicklungpolitik

18. November 2010
Von Heike Löschmann
Zusammengestellt von Heike Löschmann
In Zusammenarbeit mit Lili Fuhr, Ute Straub und Jana Mittag

Exportsubventionen unterminieren Bekämpfung von Hunger und Armutsreduzierung

Im Zuge der Deregulierung des europäischen Milchmarktes und des angestrebten Auslaufens der Milchquote bis 2015 hat die EU die Exporterstattungen für Milch und Milcherzeugnisse erneut eingeführt: Mitte September 2010, stellte das Landwirtschaftsministerium sein neues Exportförderprogramm für die deutsche Agrar- und Ernährungswirtschaft vor. Das bereits reduzierte Stützungsprogramm wurde in Reaktion auf die Proteste der deutschen Milchbauern wieder hochgefahren. Bereits im Haushalt 2010 wurden 300 Mio. € für das sog. Grünland-Milch-Sonderprogramm eingestellt. Opposition und zivilgesellschaftliche Organisationen weisen auf die auf die mangelnde wirtschaftliche und ökologische Nachhaltigkeit dieser Strategie, vor allem aber auch auf die Folgen für die lokalen Produzenten in Entwicklungsländern hinweisen. Eine Folgenabschätzung von Regierungsseite fand nicht statt. Aber die Erfahrungen aus der Vergangenheit zeigen, dass eine Erhöhung der Produktionsmengen und die gleichzeitige Einführung von Exportsubventionen gegen fallende Preise verheerende Auswirkungen auf bäuerliche Milchproduzenten im globalen Süden haben Anstrengungen zur Erreichung des ersten Millenniums-Entwicklungsziels, der Halbierung von Hunger und Armut bis 2015, werden damit konterkariert. Anlässlich des MDG-Gipfels in New York, kündigt Entwicklungsminister Niebel die verstärkte Förderung der Landwirtschaft in Entwicklungsländern an. Im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit sollen bis 2012 insgesamt drei Milliarden US-Dollar in ländliche Entwicklung und Ernährungssicherung investiert werden (G8-L’Alquila Zusage). Widersprüchlicher und kostspieliger könnte das Handeln der Bundesregierung kaum sein.

Europäische Fischereipolitik widerspricht Nachhaltigkeitskriterien und dem Geist der partnerschaftlichen Fischereiabkommen

Europa hat durch Fischereiabkommen Fangrechte gegen Kompensationszahlungen und Entwicklungshilfe in der 200 Meilenzone einiger Partnerländer erworben. Die festgelegten Quoten, unzureichende Überwachung und Verstöße gegen die Abkommen führen zur Überfischung und bedrohen damit eine wichtige Ernährungs- und Einkommensquelle in diesen Ländern. Die von der Europäischen Union im Rahmen der partnerschaftlichen Fischereiabkommen gewährten Ausgleichszahlungen haben nicht zum Ausbau der Fischereipolitik der Partnerländer beigetragen, und dies vor allem deshalb nicht, weil die Umsetzung dieser Abkommen auch von Seiten der EU nicht weiterverfolgt und die Unterstützung nur schleppend gewährt oder manchmal auch gar nicht in Anspruch genommen wurde. Das konterkariert Bemühungen der europäischen Entwicklungszusammenarbeit, die betroffenen Länder bei der Schaffung von Einkommens- und Beschäftigungsmöglichkeiten zu unterstützen, um die Lebensbedingungen zu verbessern und dem Migrationsdruck zu begegnen.

Steuerpolitik zulasten der Habenichtse unterminiert Entwicklungschancen armer Länder

Steuerparadiese haben vor und in der Phase nach der Finanzkrise „toxischen“ Finanzprodukten und illegalen Kapitalzuflüssen auch aus den Entwicklungsländern Zuflucht gewährt. Es wird geschätzt, dass die in 2007 transferierten Geldmittel, die aus kriminellen Aktivitäten, Korruption und Steuervermeidung stammen, zwischen 1000 und 1600 Mrd. US-$ betrugen, die Hälfte davon stammt aus Entwicklungs- und Transformationsländern. Multinationale Unternehmen verschieben gezielt Gewinne und Verluste innerhalb ihrer Tochtergesellschaften, um sie nicht zu versteuern. Jedes Jahr werden so in Entwicklungsländern mindestens 370 Mrd. US-$ der Besteuerung entzogen. Die sich aus diesen Praktiken ergebenen Einnahmeverluste machen ein Vielfaches der jährlichen Entwicklungshilfezahlungen aus.

Außenwirtschaftsförderung im vornehmlichen Dienste nationaler Interessen unterminiert Klimaschutzverpflichtungen der Bundesregierung und internationale Rahmenvereinbarungen

Die politischen Festlegungen im Abschnitt „Außenwirtschaft“ des schwarz gelben Koalitionsvertrags lassen erkennen, dass sich die Regierungskoalition von dem bisherigen Verständnis von Politikkohärenz zugunsten von Entwicklung – zumindest in der Praxis – entfernt und stattdessen der Verfolgung nationaler Wirtschaftsinteressen Priorität einräumt:

“Außenwirtschaft und Entwicklungszusammenarbeit müssen besser aufeinander aufbauen und optimal ineinander greifen. Entwicklungspolitische Entscheidungen müssen die Interessen der deutschen Wirtschaft, insbesondere des Mittelstandes, angemessen berücksichtigen ...“  Hier drückt sich das Primat nationaler Interessenpolitik vor den Verpflichtungen zu globaler Verantwortung grundlegend aus.

Auch für die Berücksichtigung von Umweltanliegen bei der Vergabe von Exportkreditgarantien und bei der Genehmigungspolitik für die Ausfuhren von Rüstungsgütern gelten künftig weichere politische Vorgaben. So wendete Deutschland seit 2001 im Rahmen der Außenwirtschaftsförderung zusätzlich zu den OECD-Leitlinien Regeln an, die den Ausschluss der Förderung von Atomtechnologieexporten vorsahen. Diese Ausschlussregeln wurden unter der schwarzgelben Regierung fallengelassen. Die Bundesregierung erteilte kürzlich die Grundsatzzusage für eine Hermesbürgschaft in Höhe von 2,5 Mrd. €, die den Export von Technologie für das dritte kommerzielle Kernkraftwerk in Brasilien (Angra 3) absichert, obwohl u.a. bis dato unklar ist, wie die Auflagen des brasilianischen Umweltministeriums zur Identifikation eines Zwischen- und Endlagers für den Atommüll erfüllt werden. Darüber hinaus hat Brasilien das Zusatzprotokoll zum Atomwaffensperrvertrag nicht unterschrieben, das der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) unangekündigte Kontrollen ermöglicht.

Öffentlich finanzierte Investitionsgarantien für den Bau neuer Kohlekraftwerke in Entwicklungsländern, sind ein weiterer Verstoß gegen das Kohärenzgebot in Sachen Klimaschutz, obwohl sich lokale Gruppen und Zivilgesellschaft vor Ort massiv dagegen wehren. Die KfW IPEX Bank finanziert im Auftrag der Bundesregierung darüber hinaus Projekte der Öl-, Gas-, Petrochemie-, Aluminium- und Stahlindustrie, die den internationalen Klimazielen widersprechen.

Geistige Eigentumsrechte – Vorfahrt für die Großen

Internationale Handelsabkommen und handelsbezogene Regelungen zum Schutz des geistigen Eigentums (TRIPS) räumen ökonomischen Interessen, insbesondere die der transnationalen Pharmaunternehmen, eine größere Priorität ein als der Gesundheitsversorgung der breiten Bevölkerung. Für die Menschen in Entwicklungsländern, die ohne Sozialversicherungen da stehen und ihre Medikamente selbst zahlen müssen, sind diese unzugänglich, weil sie unter anderem verursacht oder ermöglicht durch den Patentschutz zu teuer sind. Diese Praxis wirkt im wahrsten Sinne des Wortes tödlich. Handel mit Generika ist zwar erlaubt, wird aber in der Praxis oftmals erschwert oder behindert. In laufenden handelsbezogenen Verhandlungen wird immer wieder versucht, die TRIPS-Regelungen zu Lasten der öffentlichen Gesundheit zu verschärfen. Für den Bereich des „traditionellen Wissens“ über die Wirkungen von Heilpflanzen und damit verbundene Leistungen zum Ehrhalt der biologischen Vielfalt wurden die Auslegungen der Patentierbarkeit so getroffen, dass die kollektiven Eigentumsrechte lokaler Gemeinschaften in Entwicklungsländern missachtet werden und die Biopiraterie durch Großkonzerne weitgehend ungehindert möglich ist.

Kein Fairplay auf den Weltmärkten

Bei der 2001 in Doha gestarteten Welthandelsrunde wurden den Entwicklungsländern, insbesondere den armen Ländern, weitreichende Reformen des Handelsregimes zu ihren Gunsten in Aussicht gestellt. Das betrifft z.B. den Abbau von Handel verzerrenden Förderprogrammen und Exportsubventionen (siehe Sünde 1), besseren Marktzugang für landwirtschaftliche Produkte und angemessenen Schutz der heimischen Industrie vor Importen. Im Verlauf der immer noch stockenden Verhandlungen ist die Vision eines fairen und inklusiven Handelssystems auf der Strecke geblieben. Die konkrete Praxis der Industrieländer lässt die wahren Absichten erkennen. So z.B. entschieden die USA 2008, ihre Baumwollbauern bis 2010 mit jährlich mind. 1 Mrd. US-$ zu unterstützten. Eine Reform dieser Praxis, durch die Entwicklungspotentiale für arme Länder verschlechtert werden, würde für mehr als 10 Millionen Menschen in westafrikanischen Ländern, die von der Baumwollproduktion leben, ein besseres Einkommen und damit verbundene selbstgesteuerte Entwicklungschancen bedeuten.

Mittelkürzung bei der zivilen Konfliktbearbeitung

Obwohl die Bundesregierung in ihrem dritten Umsetzungsbericht zum Aktionsplan „Zivile Krisenprävention, Konfliktlösung und Friedenskonsolidierung“ (Juni 2010), ihren Willen unterstreicht, „ihre Beiträge zu Frieden, Sicherheit und Entwicklung weltweit insbesondere präventiv auszurichten und dabei vorrangig zivile Mittel zum Einsatz zu bringen“, schließt sie im gleichen Bericht eine Absenkung der dafür eingesetzten Mittel nicht aus. Sie kündigt an, dass weitere Mittelerhöhungen nicht zu erwarten und Absenkungen in Folge von Prioritätenverschiebungen nicht auszuschließen sind. Bereits mit dem Bundeshaushalt 2010 wurden Mittelkürzungen beschlossen – gut versteckt in der Umstrukturierung einzelner Haushaltstitel des Einzelplans des Auswärtigen Amtes. Für das Haushaltsjahr 2011 sind weitere gravierende Kürzungen vorgesehen, darunter Absenkungen in Höhe von 30% für die zivile Krisenprävention, Friedenserhaltung und Konfliktbewältigung. Damit verringerte sich der Gestaltungsspielraum der Akteure und die zivile Krisenprävention verlöre im Verhältnis zur viel höheren Mittelallokation für die Bundeswehr im Rahmen der zivil-militärischen Zusammenarbeit an Bedeutung.

Dossier

Deutsche Entwicklungspolitik im Spannungsfeld Globaler Krisen

Klimawandel, Welternährungskrise, Armut und Finanzkrise: Die deutsche Entwicklungspolitik steht vor Herausforderungen, die nur ressortübergreifend gelöst werden können. Nach einem Jahr schwarz-gelber Regierungsarbeit will die Heinrich-Böll-Stiftung das Spannungsfeld nationaler, europäischer und internationaler Entwicklungspolitik kritisch ausleuchten und Reformperspektiven für die Entwicklungszusammenarbeit aufzeigen. zum Dossier»